Scheidenstein, vergessenes "Haserkirchl"


Marienaltar in Scheidenstein - Foto: Archiv G. Aichner. ai©
Marienaltar in Scheidenstein - Foto: Archiv G. Aichner. ai©

Während die ehemalige Schneiderkapelle südlich der Haller Pfarrkirche aufwändig und wunderbar restauriert wurde (29. Juni 2025), ist ein anderes kirchliches Kleinod im Westen der Stadt vor 80 Jahren von Bomben ausgelöscht worden – das Scheidensteinkirchlein.

 

Dem schweren Luftangriff, den Solbad Hall am 16. Feber 1945 in der Zeit von 12.45 Uhr bis 13.30 Uhr erleiden mußte, sind 71 Menschen zum Opfer gefallen und auch der Sachschaden war sehr groß. Unter dem Scheidensteinkirchlein der „Haserstiftung“ war ein Luftschutzkeller errichtet worden, hauptsächlich für die Bewohner der Amtsbachgasse, da diese zum Hauptstollen zu weit hatten. Diese Kapelle wurde beim Angriff am 16. Feber vollständig zerstört und die acht Menschen, die in dem Kellergewölbe Schutz gesucht hatten, fanden den Tod, auch meine Großmutter und eine Tante, sowie eine Mutter mit zwei Kindern, deren Vater eingerückt und im Kriege gefallen war. Diese Familie war somit vollständig ausgestorben. Alle Namen der Bombenopfer sind in der Kriegergedächtnis- Magdalenakapelle zum Gedenken angeführt. 

Vom Kirchlein blieb nur die Weiheurkunde 1584 in einem kleinen Bleibehälter erhalten.

 

An der nordwestlichen Seite der Stadt Hall lag einst der Edelsitz Schärnstein, später „Scheidenstein" und auch „zum Schärn“ genannt. Das Scheidensteinkirchlein, westlich der Amtsbachgasse, südlich dieses Ansitzes Scheidenstein oder Scharnstein, reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück. Ritter Georg Fieger zu Hirschberg, der Haller Salzmaier, ließ diesen Edelsitz „Schärnstein“ restaurieren und daneben eine Kapelle errichten. Am 22. Mai 1584 weihte der damals sehr berühmte Brixner Weihbischof Johannes Nasus O.F.M. das Kirchlein zu Ehren des Apostels und Evangelisten Johannes ein. Martin Haser von Greifenfeld, kaiserlicher Salzamts-Rat und ausgezeichneter Landmiliz-Hauptmann, ließ bei der Kapelle einen Turm mit drei Glocken erbauen. 

 

Scheidensteinkirche „Haserkirchl“, um 1930  Foto: Archiv G. Aichner ai©
Scheidensteinkirche „Haserkirchl“, um 1930 Foto: Archiv G. Aichner ai©

Haser ließ auch das Muttergottes-Bild, das ehedem in der sog. „Salzmühl-Behausung“ oberhalb des Ansitzes gewesen und in zweien Feuersbrünsten völlig unversehrt geblieben ist, in feierlicher Prozession in die Kapelle übertragen und auf dem Altar aufstellen. 

Beim ersten Brand am 4. Dez. 1740 war in einem Hause neben dem Ansitz Scharnstein Feuer ausgebrochen, das in kurzer Zeit 31 Häuser und ebenso viele Städel in Asche legte. Am 5. Mai 1795 brach in der Fassergasse abermals Feuer aus, welches in kurzer Zeit 29 Häuser mit 40 Werkstätten der Salzfaßbinder, 12 Scheunen und drei Mühlen zerstörte. Bei dieser Brunst wurde die Kirche bei Scharnstein derart beschädigt, daß alle drei Glocken vom Thurme herabfielen.

 

Bald wurden zu diesem Marienbildnis in der Scheidensteinkapelle, im Volksmunde das „Haserkirchl“ genannt, große Andachten gepflogen. Es entwickelt sich eine kleine „Wallfahrt“ dortin. Haser fand sich deshalb veranlasst, ein eigenes Beneficium für sein Kirchlein zu stiften. 1731 stiftete er zur Erhaltung eines Priesters ein Kapital 6000 Gulden. 1740 machte er eine weitere Stiftung zur Erhaltung der Kapelle und für Hausarme.

 

Erst um das Jahr 1850 schenkte die Fassermeisterstochter Anna Moser ihr Haus in der Amtsbachgasse 20 (heute Schweygerstrasse), für eine Wohnung des Benefiziaten. Dieser war verpflichtet, in der Scheidensteinkirche täglich die hl. Messe zu lesen, dann den Rosenkranz allabendlich abzubeten, und an den Festtagen im Chor der Pfarrkirche und bei den feierlichen Prozessionen zu erscheinen. Das ursprüngliche Beneficium hat im Verlaufe der Zeit manches Missgeschick erfahren. Wegen der sehr geschmälerten Einkünfte wurden die Stiftmessen vermindert. Unter der königlichen baier‘schen Regierung hat man 1808 das Beneficium förmlich der Pfarrkirche incorporiert. Erst viel später bezog der Beneficiat wieder die alte Capelle, um hier wieder die hl. Messe zu lesen. Durch die Geldentwertung 1922/23 ist, wie viele andere, auch diese Stiftung eingegangen. Im Benefiziatenhaus wohnte damals mein Großvater, der zugleich Mesner für das Scheidensteinkirchlein war. Auch der Autor ist dort aufgewachsen.

 

1840 war der ehemalige adelige Ansitz Scheidenstein in der obern Fassergasse zu verkaufen. Zu den Realitäten gehörten laut Anzeige vom 4. Dez. 1840 im „Bote für Tirol“: „Eine schöne, sehr gut gebaute, in einer Reihenlage befindliche schloßartige, zwei Stock hohe Behausung samt Erdgeschoß im Umfange von 434 Quadratklaftern, mit 13 geräumigen Zimmern, zwei Küchen, einer geräumigen Holzlege, einem großen Keller und zwei Gewölben, wobei ein geräumiger Vorhof sich befindet. Dazu gehört auch der daran stoßende Früh- und Baumgarten mit ca. 800 Quadratklaftern. Diese Behausung, die gegenwärtig als Militärkaserne verwendet wird, könnte vorzüglich zu einer Fabrik oder sonst einer Anstalt benützt werden, weil auch in der Nähe des Mühlbachs das Wasser auf die vorteilhafteste Weise zu Nutzen gemacht werden könnte. Es befindet sich bei diesem Schlosse eine abgesonderte, mit einem Priester versehene und mit einem eigenen Stiftungskapitale dotierte Kapelle.“  


Weiheurkunde 1584 - Archiv G. Aichner ai©
Weiheurkunde 1584 - Archiv G. Aichner ai©

Mehrere Jahre hindurch diente Schloß Scheidenstein als Quasikaserne, dann als Lodenfabrik. Der alte Ansitz, ein mächtiger Baublock mit Krüppelwalmdach, an der Südseite von rundem Treppenturm mit Kegeldach überragt, wurde 1928 modernisiert. Für die Scheidensteinkirche aber hat die Bombardierung von 1945 sinnlose Zerstörung gebracht. – Gerald Aichner

 

FOTOS: alle ai©
Scheidensteinkirche „Haserkirchl“, um 1930 -
 Foto: Archiv G. Aichner 

 

Foto Gedenktafel in der Magdalenakapelle für die Gefallenen der Weltkriege und die zivilen Bombenopfer 1945  - Foto: G. Aichner

 

Foto  Marienbildnis in der Scheidensteinkirche - Foto: Archiv G. Aichner

Ansitz Scheidenstein - Foto: "Haneburger"
Ansitz Scheidenstein - Foto: "Haneburger"