'Fechsung' vor 90 Jahren in Lanersbach


 

Die Osterskireise der „Stunde“ (Wiener Zeitung)

Lanersbach 23. März 1932 - Ideales Wetter, idealer Schnee und glänzende Stimmung...Gestern wurde zu Ehren des frisch­ gefallenen Schnees ein Generalübungstag eingeschaltet. Die Tourenfahrer, das ist die Elitegruppe, erhielten einen der Steilhänge, einen Teil der Slalomstrecke von Lizum zugewiesen und übten Christianiaschwünge reinster Arlberger Fechsung *). Die Mittel­gruppe tat desgleichen, aber auf leichterem Gelände und die Anfänger sind seit gestern keine Anfänger mehr: Sie unternehmen eine leichte Tour, auf der sie schon frappierende Brettlsicherheit zeigten. Schüler und Lehrer sind gegen­seitig voneinander begeistert.

Mit unserem Quartier und der Verpfle­gung sind wir restlos zufrieden. Zu dem feinen Pulverschnee, den uns der Himmel gestern bescherte, ist heute die Sonne hinzugekommen; ansichtskartenblau strahlt der Himmel.

Wir haben keine Ahnung, was in der Welt vorgeht; die Zeitungen kommen erst zwei oder drei Tage nach ihrem Erscheinen zu uns. Keiner von uns fragt aber, was jenseits unserer Berge los ist, uns inter­essiert vorläufig nur: welches Wachs nehmen wir, welche Tour machen wir, bleibt die Sonne oder kommt Schnee...

Lanersbach, 24. März. 1932

Gestern war so der richtige prachtvolle und sonnige Tag, der uns die Freuden des Schnees besonders genießen ließ. Die Tourengruppe machte sich zeitlich auf den Weg nach der Loschboden-Alm in 2000 Meter Höhe. Die Abfahrt ging teils über steile Hänge, teils Uber sanft ab­fallendere Wiesen, alles wurde von den Teilnehmern mit Bravour genommen. Nach­mittags war wieder großes Üben und als Clou des Tages ein großes Slalom-Rennen der fortgeschrittenen Tourenfahrer, das unser Skimeister Balaun raffiniert abgesteckt hatte.

Im folgenden geben wir den Bericht unserer jüngsten Oster-Skifahrerin aus Lanersbach wieder: „Wir versammelten uns um 10 Uhr vormittags, es ist herrliche Sonne und schöner Pulverschnee. Viele waren noch verschlafen, doch unser Lehrer Balaun weckte uns bald auf, indem er uns auf die Hänge hinaufjagte. Das war ein Stöhnen!... Dem einen waren die Brettel zu stark gewachselt, dem andern schmerzte der Fuß. Endlich waren wir oben und übten den Stemmbogen, wir fuhren dann zu einer steileren Stelle, wo wir den Christiania übten. Nach dem Mittagessen ruhten wir uns aus; am Nachmittag bestiegen wir einen sehr steilen Hang, wo wir Gelegen­heit hatten zu zeigen, wie weit wir das bisher Gelernte im Gelände anzuwenden, verstünden. Wir lernten wirklich viel da­bei; langsam werden alle Backen rot. Ob­wohl wir sehr müde waren, blieben wir doch in fröhlicher Laune“ - Tanna Ticho, 12 Jahre alt.

Aus: Die Stunde, 25. März 1932 (Wien)


*) Fechsung - bedeutet eigentlich 'Ernte'. Aber auch eine andere Deutung gibt es. Das Photoinstitut Bonartes 2013–2021 befindet dazu: 

'Skilaufen war wie andere Bergsportarten damals sehr populär, körperliche Ertüchtigung in der Natur diente der Flucht aus dem städtischen Leben und gebräunte Haut nach einem ausgiebigen Sonnenbad – am besten gleich nackt – im verschneiten Gebirge, der sogenannten „Fechsung“, zeugte von einem gesunden Lebensstil.' 

 

Definition der 'FECHSUNG' aus 'SPUREN':  SKIKULTUR AM ARLBERG - Sabine Dettling und Bernhard Tschofen, herausgegeben von Ski.Kultur.Arlberg 2014

 

"Die Fechsung ist das Resultat der heißen Bemühungen der sogenannten ‚strahlenden Energie‘, insbesondere jenes gewissen, sich unsichtbar machenden ultravioletten ‚Etwas‘, das, verstärkt durch die Reflexe der silberweißen Schneedecke, die Haut röstet, entzündet, verbrennt, hübsche, mit Serum gefüllte Brandblasen bildet, diese zum Platzen bringt und die mühsam selbstgewachsene Haut zum Teufel gehen läßt." Walter Schmidkunz, Alpinschriftstellers, 1927/28

 

Ernst Janner empfiehlt, zumindest abseits „der Verkehrsstraßen den ganzen Oberkörper“ zu „entblößen, um das so wohltuende Sonnen- und Luftbad genießen zu können“. Noch immer, kritisiert Hans Surén, baden zu viele vollständig bekleidet in der Sonne und schwitzen und fühlen sich unwohl, denn „selbst das leichteste Gewebe“ hält die „Wirkung der Sonnenstrahlen“ ab. Deshalb ist das Unterfangen, „sich in irgend einer Kleidung... den Sonnenstrahlen auszusetzen“, zwecklos und darüber hinaus unhygienisch, was auch für die Badehose gilt, wenn sie beim Sonnenbad getragen wird. Insgesamt sieht Surén in der „Prüderei“ ein Problem und empfiehlt den Nacktschurz für die unteren Körperregionen auch für Frauen mit der Begründung: „Ich kann wirklich nicht einsehen, warum die Frau unbedingt die Brust verdeckt haben soll.“
Der „Nacktsport zur Winterszeit im Hochgebirge“ aber hat seine Tücken. „Die Sonne hat auf den Höhen der Schneeberge große Kraft, zumal der Schnee die Sonnenstrahlen zurückwirft, und dadurch ihr Einfluß auf den Körper verstärkt wird.“

Konkret und mit den satirischen Worten des Alpinschriftstellers und Verlegers Walter Schmidkunz gesprochen, ist die in Skitouristen-Kreisen so beliebte 'Fechsung“ nichts anderes als ein haut- wie hirnmordender Sonnenbrand. Diesen wandeln moderne Skiläufer „durch geschickte Salbung und zeitgerechte Mäßigung der ,Köchtelgelegenheiten‘ ... zur idealen Fechsung ... um nach Urlaubsablauf als pfennigbraune Helden nach Hause zurückzukehren, beneidet und wohlwollend angelächelt von sämtlichen kniefreien Bubiköpfen“. 

Hans Surén - deutscher, Buchautor und ein Vorkämpfer des Naturismus

Prof. Ernst Jänner, verfasst das Skibuch: „Arlbergschule - Lehrgang des Skilaufes", 1. Aufl. München, 1926

Walter Schmidkunz, Alpinschriftstellers, 1927/28

zitiert aus 'SPUREN' SKIKULTUR AM ARLBERG - Sabine Dettling und Bernhard Tschofen, herausgegeben von Ski.Kultur.Arlberg 2014


'Die Stunde' war eine österreichische Tageszeitung und erste Boulevardzeitung Österreichs, die vom 2. Februar 1923 bis 11. März 1938 in Wien erschien. Eigentümerin war  der Kronos Verlag.